Neue Versorgung Ausgabe Juli 2017 - page 10

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Reportage
Stärkung der Allgemeinmedizin
im Studium war überfällig
Niebling findet selbstverständlich auch
die zu erwartende Stärkung der All­ge­
mein­medizin sehr erfreulich, insbeson-
dere mit der Anerkennung der All­ge­
mein­medizin
als
verpflichtendes
Prü­fungsfach und dem ambulanten PJ-
Abschnitt. „Der Weg bis zur Umsetzung
des Masterplans Medizinstudium 2020
war lang und hatte unerwartet hohe
Hürden“, erinnert Niebling, „nicht nur
finanzielle“.
Die Landarztquote beurteilt er dagegen
auch kritisch. Kann und soll ein Studie-
render mit 18 oder 20 Jahren schon die
Entscheidung treffen, später Hausarzt in
einem strukturschwachen Gebiet zu wer-
den? Dr. Klaus Böhme, Koordinator der
allgemeinmedizinischen Lehre in Frei-
burg, sieht auch die Gefahr, damit unbe-
absichtigt ein Negativimage zu transpor-
tieren: Ist die Hausarzttätigkeit auf dem
Land etwa eine Strafe für schlechtere
Abiturnoten? Böhme leitet das Projekt
‚Erhöhung der Sichtbarkeit des Faches
All­gemeinmedizin durch longitudinale
Präsenz im Studium der Humanmedizin
(AmiS)’. Auslöser dafür war eine Um­
frage: Zwei Drittel der Studienanfänger
konnten sich eine Hausarzttätigkeit vor-
stellen, dieses Interesse ging im Lauf der
Studienzeit aber zurück. AmiS setzt hier
an: Durch ein breit gefächertes Ange­bot
von allgemeinmedizinischen, kompe­
tenz­orientiert ausgerichteten Unter-
richtsveranstaltungen vom 1. Semester
bis zum Praktischen Jahr soll das positive
Image der Allgemeinmedizin während
des gesamtenMedizinstudiums aufrecht­
erhalten werden.
Vorteile durch Verbundweiter­
bildung Plus
Die Facharztausbildung Allgemeinmedi-
zin hat bundesweit strukturelle und in-
haltliche Probleme. Vereinfacht gesagt,
wird sie im Vergleich zu anderen Diszi­
pli­nen als zu lang, zu unorganisiert und
zu unattraktiv bewertet. Dr. Johanna
Fahrbach-Veeser hat verschiedene Wei-
terbildungsstellen kennengelernt: Sie fing
in Ludwigsburg an, dann zog es sie nach
Berlin, und nach einem halben Jahr ging
sie zurück nach Baden-Württemberg. „In
Ludwigsburg war alles gut organisiert“,
beschreibt sie, „ich wusste immer, an wen
ich mich mit Fragen wenden konnte, und
auch das Rotieren innerhalb des Hauses
funktionierte einfach.“ In Berlin war
dann plötzlich alles anders. „Die Ärztin
war nett, die Praxis spannend und die
Patienten eine angenehm vielfältige Mi-
schung, aber ich musste mich um alles
selbst kümmern“, berichtet sie.
Konkret heißt das zum Beispiel: Wenn
die jeweilige KV lange braucht, um über
die Förderung zu entscheiden, wartet
der Arzt auf sein Geld. Ortswechsel sind
häufig unvermeidbar und zwischen zwei
Stellen kommt es oft zu arbeitsfreien
Zeiten, die man irgendwie überbrücken
muss. Das verlängert die Weiterbil-
dungszeit unnötig und sorgt für Verun-
sicherung. Solche Organisationsmängel
sind für die jungen Ärzte ganz sicher
nicht motivierend, im Gegenteil.
Das Projekt Verbundweiterbildung
plus
Baden-Württemberg macht den Unter-
schied aus. Seit 2007 wird es von dem
KompetenzZentrum Allgemeinmedizin
Baden-Württemberg organisiert, einem
netzwerkartigen Zusammenschluss der
fünf allgemeinmedizinischen Fakultä-
ten im Ländle. Die einzelnen Abschnitte
werden genau aufeinander abgestimmt,
sodass eine aufwendige Stellensuche
oder Phasen ohne Tätigkeit vermieden
werden. Das entlastet den ärztlichen
Nachwuchs und bietet ihm Planungssi-
cherheit. Diese gut organisierte Weiter-
bildung ist für Fahrbach-Veeser ein kla-
rer Vorteil. Noch ist offen, ob sie nach
der Facharztprüfung gleich die Nieder-
lassung anstrebt oder noch eine Zeit
lang als Angestellte arbeitet. „Erstmal
arbeite ich auf die Prüfung hin“, sagt sie.
Basisdiagnostik im SkillsLab des Lehrbereichs Allgemeinmedizin der Universität Freiburg: Dr. Böhme
und Studierende während der Winterschool 2017 – einer Maßnahme der Perspektive Hausarzt
Wir dürfen die Studierenden
nicht von der haus­ärztlichen
Tätigkeit entfremden.
Dr. Klaus Böhme
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